Kaufsucht - eine Droge

Frau S. kauft liebend gerne Kinderkleidchen. Die kleinen Röckchen und Blüschen, die frechen Latzhosen und Schuhe haben es ihr angetan. Wie einen Schatz trägt sie die Miniaturmode nach Hause. Da ist nur ein Problem: Frau S. hat gar keine Kinder!

Bezeichnend für eine Kaufsucht ist, dass gar kein Bedarf für das Eingekaufte besteht. Achtlos fliegen die Einkaufstüten zu Hause in die Ecke. Ausgepackt, geschweige denn benutzt, wird selten. Ware, die zu Konsum, d. h. zum Ge- oder Verbrauch bestimmt ist, wird nie konsumiert. In diesem Punkt unterscheiden sich Kaufsüchtige von normalen Konsumenten. "Ihr Konsum besteht mehr im Inhalieren der Symbole als im körperlichen Gebrauch der Ware", fasst Gerhard Scherhorn, Professor für Konsumtheorie und Verbraucherpolitik an der Universität Hohenheim, zusammen. Den Süchtigen tangiert das nicht. Er holt sich sein Rauscherlebnis beim Kaufakt und bei der Betrachtung seiner Sammelobjekte.
Statt dem Menschen zu dienen, wird das Gut zum Götzen, das der Besitzer anbetet. Kaufsucht sei eine "Abhängigkeit, die genauso ernst zu nehmen ist wie bei Kokain, Medikamenten oder Alkohol", warnt Nancy Dombrowski, Psychotherapeutin aus New York, in einem Bericht des "SPIEGEL". Wer von Kaufsucht befallen ist, hat "in vielem eine ähnliche Beziehung zum Gegenstand der Sucht wie der Fixer oder die Alkoholikerin zu ihrem Stoff", so Psychologe Werner Groß vom Berufsverband Deutscher Psychologen (ebd.)

So fühlen sich manche Käufer regelrecht "high". Aber nach ein paar Stunden oder Tagen kehrt die innere Leere zurück, verbunden mit Niedergeschlagenheit und Enttäuschung. Ein neues Kauferlebnis muss her, um diesen Zustand zu beenden. Um aus der neuerlichen Unzufriedenheit und Depression wieder herauszukommen, muss die Dosis ständig gesteigert werden.
Kaufsucht verläuft in einer Phasen-Entwicklung. Anfangs würden exzessive Einkäufe noch von Unsicherheit befreien, Bekannte beeindrucken und Unabhängigkeit vom Ehepartner oder den Eltern betonen, später aber verselbständige sich die Sucht, konstatiert der Londoner Psychiater Max Glatt.
Dabei wird Kaufsucht in der Psychologie kaum gezielt gesucht, sondern allenfalls bei der Behandlung anderer Neurosen festgestellt, so Scherhorn. Im Gegensatz zu anderen "Lösungen" wie Gewalt und Drogen eigne sich gerade Kaufen besonders gut zur Kompensation von Defizit-Gefühlen, denn "Kaufen ist ja etwas sozial akzeptables und gesellschaftlich erwünschtes."

(Quelle: Ethos)